von Philipp Klingler
Für eine zweitägige Fachtagung unter dem Titel „Das Politische in unpolitischen Disziplinen” trafen sich am 30. September und 1. Oktober 2019 politische Bildner/innen aus der Schule und der außerschulischen Jugend- und Erwachsenenbildung, Lehrer/innen ganz verschiedener Fächer und Wissenschaftler/innen aus Politikwissenschaft, Politischer Bildung und Sozialer Arbeit im Haus am Maiberg (Heppenheim). Benedikt Widmaier, erster Vorsitzender der DVPB Hessen, hat in Kooperation mit den Landesverbänden der DVPB Hessen und Baden-Württemberg sowie der Heidelberg School of Education diese Tagung organisiert.
Anlass für die Tagung sind die Entwicklungen in Deutschland und der Welt in den letzten Jahren: Obwohl die Öffentlichkeit politisiert wie seit einigen Jahrzehnten nicht mehr wirkt (siehe etwa die Fridays for Future-Bewegung), sieht sich die politische Bildungsarbeit durch Meldeplattformen der „Alternative für Deutschland“ unter Druck gesetzt. Wird Kontroversität zunehmend als störend für die Gesellschaft und die politische Bildungsarbeit selbst gesehen, entpolitisiert sich diese in gefährlichem Maße. Vor diesem Hintergrund diskutierten Teilnehmer/innen aus verschiedenen Handlungsfeldern der politischen Bildung über Politisierung, Entpolitisierung und den politischen Gehalt von unpolitisch wirkenden Disziplinen, wie etwa den Naturwissenschaften.
Den Auftakt gestaltete Juniorprofessor Dr. Alexander Wohnig (Universität Siegen) entlang der Frage, was das Politische in der politischen Bildung eigentlich sei. Er ging von der These aus, dass die politische Bildung in Theorie, aber auch Praxis, unter einer zunehmenden Entpolitisierung und Individualisierung politischer Angelegenheiten leide. Vor diesem Hintergrund machte Wohnig deutlich, dass die Frage nach dem Kern politischer Bildung aktueller denn je ist, will politische Bildung noch ihrer Zielvorstellung mündiger Bürger/innen nachkommen. Anhand seiner empirischen Untersuchungen zeigte Wohnig exemplarisch auf, wie in sozialen Projekten (service learning) auch das politische Lernen umgesetzt werden kann.
Stefan Schäfer (TH Köln) sprach anschließend aus Sicht der Sozialen Arbeit über die Immanenz des Politischen in der Jugendarbeit und Jugendbildung. Er plädierte für eine Soziale Arbeit, die nicht nur das Individuum, sondern auch die Gesellschaft fokussiert. Da das Politische dem gemeinsamen Leben inhärent sei, müsse Soziale Arbeit eine partizipatorische Perspektive im Sinne ihrer Adressat/innen einnehmen.
Die außerschulische politische Bildung an Volkshochschulen war Thema eines Vortrags von Jun.-Prof. Dr. Alexander Wohnig und Dr. Veith Selk (TU Darmstadt). Unter dem Titel “Politischer Populismus überall” stellten sie ein Weiterbildungsangebot für Dozierende an Volkshochschulen zum Themenfeld (Rechts-)Populismus vor.
Diese Vorträge dienten als Vorbereitung für vier Workshops, die sich alle mit dem “Politische in unpolitischen Disziplinen” befassten: Dr. Thomas Schneidermeier vom Goethe-Gymnasium Bensheim und dem Zentrum für Chemie berichtete zu den Möglichkeiten politischer Bildung in den MINT-Fächern, insbesondere Chemie. Er stellte das Projekt „Schule 3.0 – Chemie“ des Zentrums für Chemie (ZFC) vor und zeigte dabei, wie naturwissenschaftliche zugleich gesellschaftliche Themen sind. Ralph Blasche (Neue Gymnasiale Oberstufe, Frankfurt) stellte theoretische Zusammenhänge und praktische Anknüpfungspunkte zwischen Deutschunterricht und politischer Bildung vor. Dabei verdeutlichte er die schon jetzt vorhandenen Möglichkeiten und Perspektiven des Deutschunterrichts an dem geltenden Kerncurriculum in Hessen. In einem zweiten Slot beschäftigten sich Maria Schneider (Universität Gießen) mit Religion als Thema politischer Bildung und Marcel Studt (Heinrich-Kleyer-Schule, Frankfurt) mit dem politischen Gehalt des Ethikunterrichts.
Der Tag wurde durch ein gemeinsames Résumé, moderiert von Benedikt Widmaier, zusammengefasst. Im Zentrum der Plenumsdiskussion stand die Frage, wie man den politischen Gehalt scheinbar “unpolitischer Disziplinen” stärker in den Vordergrund rücken könne.
Der zweite Tag wurde mit der Vorstellung der Leitperspektive Bildung für nachhaltige Entwicklung von Johanna Weselek (Heidelberg School of Education) und dem neu herausgegebenen Leitfaden Demokratiebildung von Robert Feil (Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg) in Baden-Württemberg begonnen. Anschließend stellte Theresa Rütermann (Uhland Grundschule, Mannheim zurzeit abgeordnet an die Heidelberg School of Education) ihr entwickeltes, durchgeführtes und evaluiertes Praxisprojekt zu politischer Bildung mit Grundschüler/innen vor.
In gemeinsamer Diskussion wurden die Erkenntnisse sowie die offenen Fragen der Veranstaltung zusammengefasst und mit Hinblick auf ihren Transfer hinterfragt. Einig waren sich alle Teilnehmer/innen, dass Bildung niemals unpolitisch sein kann – und darf! Durch das Zusammenkommen der verschiedenen Akteure der politischen Bildungslandschaft – von Lehrer/innen, politischen Bildner/innen in außerschulischen Zusammenhängen über Hochschullehrer/innen und auch Mitarbeiter/innen der Transferstelle für Politische Bildung (ihr Tagungsbericht ist hier zu finden) – wurden zahlreiche Perspektiven der zukünftigen Kooperationen in diesen grundlegenden Fragen und zentralen Herausforderungen gefunden.